Das ist mir jetzt zu psychologisierend.
Nochmal in kurzen Worten: Das Europarecht hat über die europäischen Grundrechte und die Grundfreiheiten des Binnenmarktes eine Werte-, Freiheits- und Gleichheitsdimension. Damit sind die britischen Maßnahmen nicht vereinbar. Was immer man im Europarecht an Ausnahmen für nationale, innere, öffentliche Sicherheit anführen mag, gleich ob der konkrete Europarechtsverstoss im Richtlinienrecht, der Unionstreue, bei den Grundrechten oder den Grundfreiheiten verortet wird: flächendeckende anlasslose Grundrechtseingriffe gehen über jedes Maß und in der europäischen Rechtsgemeinschaft nicht an. Verbindlich feststellen kann dies nur der EuGH, und der Weg dahin sollte über die Hüterin der Verträge und des supranationalen Gemeinwohls, die Europäische Kommission, führen. Von den Mitgliedstaaten ist hier nicht viel zu erwarten, nicht zuletzt weil möglicherweise auch andere Dienste – möglicherweise auch der deutsche BND – Dinge tun, die rechtliche Grenzen überschreiten.
Stellt der EuGH eine Verletzung des Europarechts fest, dann gibt es verschiedene Durchsetzungszenarien. Bei Vertragsverletzungsverfahren gibt es die Möglichkeit von Zwangsgeldern. Vorlageverfahren funktionieren über die Durchsetzungsmechanismen des jeweiligen nationalen Rechts.
GB kann sich den Bindungen natürlich entziehen durch Austritt. Derzeit ein sehr fernliegendes Szenario, aber im Hinblick auf die EMRK gibt es eine entsprechende Diskussion. Dann würde GB in Sachen Binnenmarkt und auch Datenschutz – vorbehaltlich der Regelungen eines Austrittsabkommens – behandelt wie ein Drittstaat. Wie die USA, dazu Teil 1 meines Beitrages. Für GB in der Gesamtbetrachtung politisch und ökomisch wahrscheinlich kein Gewinn. Deswegen ist die Option, dass man in GB zumindest auf der Ebene der Gesetzestexte europarechtlichen Anforderungen Folge leistet, nicht unrealistisch. Vielleicht ändert man den RIPA ein bisschen, schafft Rechtsbehelfe.
Eine andere Frage ist dann, was danach die Geheimdienste in GB – und anderswo – auf der faktischen Ebene (weiter) treiben. Spätestens hier kommen wir an Grauzonen und Grenzen des Rechts, die in Sachen Geheimdienste auch in gefestigten demokratischen Verfassungsstaaten vielfach noch bestehen. Auch in Deutschland. Hier hat man doch auch nach 1949 noch etliche Jahre gebraucht, bis man den Gesetzesvorbehalt für den BND entdeckt hat.
Aber dann geht es zumindest darum, diese Grenzen kontinuierlich zugunsten von Rechts- und Verfassungsbindung zu verschieben und die Grauzonen auszuleuchten. Und da hat Deutschland mit seiner leidvollen Geheimdienstgeschichte unter verschiedenen Regimen im 20. Jahrhundert nun einmal auch eine besondere, schwer bestreitbare Legitimation, voran zu gehen.
Vor dem Hintergrund all dessen hat auch die gesamte Diskussion um Rechtsbindung für sich genommen schon einen Eigenwert, unabhängig davon, wie ernst die GCHQ Juristen nimmt. Ich sehe hier gar keinen Anlass zur freiwilligen Vorab-Selbstverzwergung des Rechts. —
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By: Franz Mayer
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